Vorstand reicht Petition an alle Bundesländer und die Bundesregierung ein – Forderung: „Unverzügliche Herstellung der richterlichen Exekutivunabhängigkeit auf Landesebene nach den Kriterien der Europäischen Union und des Grundgesetzes“
Der Verein „Förderung von Transparenz und Gerechtigkeit in der Rechtspflege Rheinland-Pfalz e.V.“ hat einen Antrag wegen unverzüglicher Herstellung der richterlichen Exekutivunabhängigkeit auf Landesebene nach den Kriterien der Europäischen Union und des Grundgesetzes an alle Bundesländer sowie an Bundestagspräsident Lammert in Berlin gestellt. Begründung wie folgt: In der Empfehlung des Europarates über die Rolle der Richter und in den Kriterien der Europäischen Union über die Aufnahme neuer Mitgliedsländer heißt es: „Die für die Auswahl und Laufbahn der Richter zuständige Behörde sollte von der Exekutive unabhängig sein“. In Frankreich, Spanien, Italien, Norwegen, Dänemark und in den Niederlanden werden diese Kriterien schon erfüllt – in Deutschland immer noch nicht. Wenn Deutschland nicht schon Kernland der EU wäre, wäre es auf jeden Fall „ein problematischer Beitrittskandidat“. („Die Entfesselung der dritten Gewalt“, Dr. Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung Nr. 81 v.6.4.06,S. 28).
Auch Artikel 97 Grundgesetz verlangt unmissverständlich, dass die Richter unabhängig sein sollen. Im Grundgesetz ist die rechtsprechende Gewalt grundsätzlich nicht Teil der Exekutive. Sie ist keiner Ministerialverwaltung anvertraut. Die Ministerien sollten nur Hilfsdienste leisten, damit die Gerichte ihre Aufgaben erfüllen können. Zurzeit wird die Justiz jedoch von der Exekutive mit Personal ausgestattet und auch verwaltet. Die Exekutivabhängigkeit deutscher Richter ist europaweit, bekannt und wird von allen als Verstoß gegen die EU-Kriterien und Verfassungsgrundsätze Volkshoheit und Gewaltentrennung beanstandet. Unabhängigkeit verlangt die Trennung der Justiz von der Exekutive.
Wegen der Wichtigkeit der Erfüllung dieser längst überfälligen EU- und GG-Kriterien seitens Deutschlands bitten wir um Ihre Stellungnahme bis zum 15.Februar 2012. gez. 1. Vorsitzende Karin Hurrle.
Mittlerweile haben alle Bundesländer einschl. Rheinland-Pfalz sowie Bundestagspräsident Lammert aus Berlin auf dieses Schreiben geantwortet, welches als Petition an die entsprechenden Petitionsausschüsse der Landesregierungen weitergegeben wurde. Eine postitive Antwort hat der Verein vom Land Brandenburg vom 24. Februar 2012 mit folgendem Inhalt erhalten:
„Sehr geehrte Frau Hurrle,
zu Ihrer Petition vom 15. Januar 2012 hat das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg gegenüber dem Petitionsausschuss des Landes Brandenburg Stellung genommen. Nunmehr hat mich der Vorsitzende des Petitionsausschusses darum gebeten, Ihnen unmittelbar zu antworten. Dem komme ich gerne nach, indem ich Ihnen die Stellungnahme vom 24. Februar 2012 in der Anlage übermittele.
Stellungnahme zur Petition des Vereins Förderung von Transparenz und Gerechtigkeit in der Rechtspflege Rheinland-Pfalz e.V., 1. Vorsitzende, Frau Karin Hurrle, Brunnengasse 1a, 67454 Haßloch, vom 15. Januar 2012, Pet.Nr. 2184/5, Unabhängigkeit der Gerichte
I.
Der Petent frder die „unverzügliche Herstellung der richterlichen Exekutivunabhängigkeit auf Landesebene nach den Kriterien der Europäischen Union und des Grundgesetzes. Er begründet dieses Anliegen u.a. mit einer Empfehlung des Europarates und unter Hinweis auf die im Grundsatz gewährleistete richterliche richterliche Unabhängigkeit. Damit sei es nicht vereinbar. dass die Justiz von der Exekutive mit Personal ausgestattet und verwaltet werde. Die Abhängigkeit von der Exekutive werde allgemein als Verstoß gegen die in der Europäischen Union geltenden Kriterien und die Verfassungsgrundsätze der Volkshoheit und der Gewaltentrennung beanstandet. Der Petent bittet hierzu den Präsidenten des Landtages Brandenbrug um eine Stellungnahme.
II.
Der Petent, der seinen Sitz in Rheinland-Pfalz hat, macht mit der Petition ein allgemeines rechtspolitisches Anliegen geltend, zu dessen Umsetzung nicht allein der brandenburgische Landesgesetzgeber in der Lage wäre: Mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts ist sowohl im Bund als auch in allen Ländern die Verwaltung der Dritten Gewalt nach dem Konzept der Ministerialverwaltung einem gegenüber dem Parlament verantwortlichen Mitglied der Regierung zugeordnet. Der in der Verfassung verankerte Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter wird hierdurch als solcher nicht infrage gestellt. Die sachliche und persönliche Unabhängigkeit der Richter ist garantiert; jede Einflussnahme auf die Art und Weise der Ausübung der rechtsprechenden Tätigkeit ist der Exekutive untersagt. Für die Auswahl der Richterinnen und Richter gilt das Erfordernis der demokratischen Legitimation, das auch einem stärker dem Selbstverwaltungsgedanken verpflichteten Modell Grenzen setzt.
Die vom Petenten angeführte Empfehlung des Europarates (Recommendation CM/Rec<2010> of the Committee of Ministers to member states judges: independence, efficiency and responsiblities) verlangt selbst keine völlige Loslösung der Justizverwaltung von der in der Regierungsverantwortung liegenden Exekutive. So lauten die Absätze 46 bis 48 (nichtamtliche Übersetzung):
„46. Die für die Auswahl und Laufbahn der Richter zuständige Behörde soll von der Exekutive und der Legislative unabhängig sein. Um ihre Unabhängigkeit zu garantieren, sollen die Mitglieder der Behörde zumindest zur Hälfte von ihren Amtskollegen gewählte Richter sein.
47. Sehen jedoch Verfassungs- oder Rechtsvorschriften vor, dass der Staatschef, die Regierung oder die Legislative Entscheidungen hinsichtlich der Auswahl und Laufbahn der Richter treffen, soll eine unabhängige und zuständige Behörde, bestehen zu einem wesentlichen Teil aus Angehörigen der rechtsprechenden Gewalt …, befugt sein, Vorschläge zu unterbreiten, die von der entsprechenden Ernennungsbehörde in der Praxis befolgt werden.
48. Die Zusammensetzung der unabhängigen Behörden, die in den Absätzen 46 und 47 genannt sind, soll eine möglichst vielfältige Repräsentation gewährleisten. Ihre Verfahren sollen transparent sein und der Zugang zu den Gründen der getroffenen Entscheidungen soll für die Kandidaten, die dies beantragen, möglich sein. Ein nicht berücksichtigter Kandidat soll das Recht haben, diese Entscheidungen anzufechten oder zumindest das Verfahren, das dazu geführt hat“.
In seiner Stellungnahme gegenüber dem Europarat führt das Bundesministerium der Justiz aus, dass in Deutschland keine Justizverwaltungsräte bestehen. Das hier geltende System entspreche dem Demokratieprinzip, wonach alle Hoheitsgewalt vom Volke ausgehe. Daher halte die Rechtstradition in Fragen der Ernennung und Beförderung eine Legitimationskette zum Parlament für bedeutend. Der Gewaltenteilungsgrundsatz forder selbst keine Einrichtung eines Justizverwaltungsrats Zu den Absätzen 46 und 47 wird ausgeführt, dass Auswahl und Laufbahn der Richter von Verfassungs wegen aufgrund der demokratischen Legitimation und der parlamentarischen Verantwortung des Justizministers der Exekutive zugeordnet seien. Der Justizminister könne auf der Grundlage von Vorschlägen eines Wahlausschusses Entscheidungen treffen. Es solle klar sein, dass die Empfehlung des Europarates keinen Wechsel eines bestehenden Systems fordere. das im Einklang mit dem Gesetz stehe, seit Jahrzehnten erfolgreich funktioniere und sich in der Praxis gut bewähre.
Nach Artikel 109 Abs. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg entscheidet über die Berufung in ein Richteramt der zuständige Minister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss. Dieser Richterwahlausschuss ist hinreichend demokratisch legitimiert, da er zu zwei Dritteln aus Abgeordneten besteht. Die übrigen Mitglieder des Richterwahlausschusses werden auf Vorschlag der Richterschaft, der Staatsanwaltschaft und der Rechtsanwaltschaft ebenfalls vom Landtag gewählt. Durch die Mitwirkung des Richterwahlausschusses werden Personalentscheidungen in einem transparenten und demokratischen Verfahren getroffen, in dem ferner der Verfassungsgrundsatz zu beachten ist, dass jeder nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt hat (Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 21 Abs. 2 Satz 1 Verfassung des Landes Brandenburg).
III.
Die rechtspolitische Forderung nach einer stärkeren Autonomie der Justiz und einer völligen Entkoppelung der Gerichtsverwaltung von der Exekutive wird in der Bundesrepublik Deutschland gerade auch mit Blick auf die anderen europäischen Länder zunehmend diskutiert. Die Richterverbände haben verschiedene Modelle entwickelt. Das Ministerium der Justiz des Landes Brandenburg unterstützt den Gedanken einer stärkeren Selbstverwaltung der Justiz und fördert den Diskussionsprozess. Im Zusammenhang mit der Vereinheitlichung des Richterrechts in den Ländern Berlind und Brandenburg, die als Folge des Staatsvertrages über die gemeinsamen Fachobergerichte beider Länder in Angriff genommen wurde, hat das Ministerium der Justiz eine Projektgruppe „Richterliche Selbstverwaltung“ eingesetzt, die Vorschläge für die Landesgesetzgebung erarbeitet und vor einigen Monaten ein Grundsatzpapier veröffentlicht hat („Brandenburgische Erwägungen für eine Stärkung der Autonomie der Dritten Gewalt“). Die Ergebisse der Arbeit der Projektgruppe sind unter der Inernetadresse des Ministeriums der Justiz allgemein zugänglich.
§ 103 des Brandenburgischen Richtergesetzes vom 12. Juli 2011 (GVBl. I Nr. 18) sieht vor, dass der Landtag bis zum 30. April 2016 das Gesetz überprüft. Die Landesregierung wird zu diesem Zweck bis zum 31. Oktober 2015 einen Bericht vorlegen, in dem sowohl die bei der Anwendung des Gesetzes gewonnenen Erfahrungen als auch die Frae der Selbstverwaltung oder einer Autonomie der Justiz dargestellt und Überlegungen zu einer weiteren Reform des Richterdienstrechts vorgestellt werden. Die Begründung zu dieser Vorschrift (s. LT-Drucksache 5/2774, S.46) nimmt auf die Erfahrungen in anderen europäischen Staaten und auf Verlautbarungen des Europarates Bezug und macht deutlich, dass sich ungeachtet der eingeschränkten Gesetzgebungszuständigkeit auch das Land an dem Diskussionsprozess beteiligen sollte“. gez. MR Dr. Kirschniok-Schmidt
26 Antworten