Recht und Gerechtigkeit aus zwei Blickwinkeln – Kommentar von Karin Hurrle
Was ist Recht – und was ist Gerechtigkeit? Und wie schwer wiegt das eigene Gewissen? Keiner, der diese Fragen so meisterhaft auseinandernimmt wie der Bestsellerautor Ferdinand von Schirach in dem Fernsehprojekt der ARD „Feinde“ in „Das Geständnis“ und „Recht und Gerechtigkeit“. Ferdinand von Schirach hat mit diesem Filmbeitrag, der am 03. Januar 2021 ab 20.15 im ERSTEN und weiteren Sendern, NDR, WDR; HR ausgestrahlt wurde, auch an die Grundrechte nach der NAZI-Zeit erinnert, die bis heute ihre Gültigkeit nicht verloren haben. U.a. hat er an eines der wichtigsten Grundrechte, das Menschenrecht „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ erinnert, das nicht verloren gehen darf. „Das geltende Recht muss über Allem stehen“, sagt der Bestsellerautor in einem Interview. „Das Recht das unmoralisch wäre, hätte keinen Bestand auf Dauer“.
Liebe Leserinnen und Leser: NACHRICHTEN REGIONAL möchte mit seinem Kommentar über diesen Film dazu beitragen, dass viele Menschen aufgerüttelt werden: BITTE BEI VERLETZUNG DER GRUNDRECHTE NICHT WEGSCHAUEN!! KÄMPFEN SIE DAFÜR, DASS UNSERE DEMOKRATIE ERHALTEN BLEIBT!
Und hier der LINK zu diesem Filmbeitrag: https://www.ardmediathek.de/ard/video/ferdinand-von-schirach-feinde/feinde-gegen-die-zeit/das-erste/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL2ZlcmRpbmFuZC12b24tc2NoaXJhY2gtZmVpbmRlL2M0NjJjMTM0LTM5M2YtNGRkNy1iZjNkLWVjOTlmYzg4YWJkYQ/
Die Grundidee dieses Films, betrachtet aus zwei Perspektiven, soll ein Bild darüber geben, wie unterschiedlich Meinungen ausfallen können. Eine Geschichte, zwei Perspektiven, zwei Filme – Ferdinand von Schirach und Oliver Berben über das TV-Event „Der Feind – Recht und Gerechtigkeit“ und darüber ob und wie sich Recht und Gerechtigkeit unterscheiden können. Warum wird immer wieder über Folter diskutiert, wird der Bestsellerautor von Schirach auch im Interview gefragt. Es dürfe in unserem Lande keine Folter mehr geben, sagt er. „Wenn sie Diener unseres Staates sind und den Rechtsstaat vertreten, darf man nicht foltern“. „Wir brauchen Prinzipien und daher haben wir Gesetze“, wirft von Schirach im Interview zur Gesetzgebung ein. Und hier der LINK zum Interview:
Was also ist passiert? Auf dem Weg zur Schule wird die zwölfjährige Lisa von Bode (Alix Heyblom) entführt. Ihre Eltern (Harald Schrott und Ursina Lardi) erhalten kurz darauf eine Lösegeldforderung: fünf Millionen Euro in Bitcoins. Für den erfahrenen Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel) gibt es schon bald keinen Zweifel, dass der Täter aus dem Nahbereich der wohlhabenden Familie kommen muss. Als Nadler den Sicherheitsmann Georg Kelz (Franz Hartwig) kennenlernt, sagt ihm seine Intuition: Das ist der Täter.
Doch Kelzs Anwalt Konrad Biegler (Karl Maria Brandauer) sieht das anders. Er sagt: „Herr Nadler irrt sich“. Er verteidige schon über 30 Jahre Menschen vor Gericht. „Die Gerechtigkeit die Nadler will, bekommen wir nur durch unsere Gesetze, durch die Anwendung des Rechts. Ich weiß, manchmal ist dies schwer zu ertragen“.
Doch was ist mit der psychischen Folter, auch „Weiße Folter“ genannt, die heute noch oft in den Gefängnissen angewendet wird? WIKIPEDIA beschreibt ausführliche diese Foltermethode wie folgt: „Unter dem Begriff Weiße Folter werden solche Foltermethoden zusammengefasst, die zwar in ihrer Anwendung und ihrer unmittelbaren Wirkung schwer belegbar bzw. nachweisbar sind, jedoch die Psyche oder auch den Körper des Folteropfers angreifen und mitunter dauerhaft schädigen oder zerstören. Weiße Folter arbeitet nicht mit physischer Gewaltanwendung (z. B. Schlägen, starke „Elektroschocks“ durch Elektroschocker bzw. andere Apparte, Verstümmelungen), die sichtbare Spuren hinterlässt, sondern mit Mitteln, die in erster Linie auf die Psyche des Opfers einwirken. Übergänge zur Gewalt gegen den Körper der gefolterten Person sind dabei mitunter fließend. Weiße Folter gab es unter der Bush-Regierung während des Krieges gegen den Terror in Form von „Erweiterten Verhörmetholden“, siehe WIKIPEDIA https://de.wikipedia.org/wiki/Weiße_Folter. Methoden der Weißen Folter sind etwa Schlafentzug, Reizentzug (etwa Dunkelhaft oder langer Aufenthalt in einer camera silens) und Scheinhinrichtugen.
Weitere Methoden sind Sauerstoffmangel-Folter und Waterboarding, langfristiges Stehenlassen in angespannter Haltung (bei welchem das Opfer Schmerz durch die unnatürliche Dauer der Muskelanspannung bzw. Belastung erleidet, den es als durch sich selbst verursacht erleben soll), Kitzeln, Erregen von Übelkeit bei Menschen mit Kinetose sowie allgemein entwürdigende und entmündigende Behandlung: Nacktheit, gezieltes Verwahrlosen-Lassen, Verlangen totaler Unterordnung, Behandlung als krank oder gestört, Verletzung des Schamgefühls als sogenannte Schamfolter und provozierte Desorientierung, z. B. durch Fixierung/Fesselung auf einem dreidimensional verstellbaren Drehsessel.
Eine ebenfalls übliche und bekannte Methode der Weißen Folter ist die sogenannte Isolationshaft, bei der das Opfer innerhalb eines Gefängnisses oder einer ähnlichen Einrichtung durch Methoden und Formen der sozialen Isolation und der sensorischen weitgehend von sozialen Bedürfnissen (unter anderem zwischenmenschlicher Kommunikation, Information und emotionaler Zuwendung) und von substanziell notwendigen organisch-sensorischen Sinneseindrücken (Sehen, Hören, Riechen, Schmeck, Tasten) abgeschnitten wird. Sie bewirkt unter anderem erhebliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des vegetatitven Nervensystems sowie der Wahrnehmung und der kognitiven Leistungsfähigkeit und zielt auf die Zerstörung des psychischen Gleichgewichts ab, um den Gefangenen zu einem Geständnis, zur Zusammenarbeit mit seinen Folterern zu zwingen oder ihn psychisch zu zerstören“, so die weiteren Erklärungen in WIKIPEDIA.
In seinem 32-seitigen Kommentar „Foltern für das Vaterland. Über die Beiträge der Psychologie zur Entwicklung von Techniken der „weißen Folter“ schreibt Rainer Mausfeld im April 2009 u.a.: „Wer der Folter unterlag, kann nicht mehr heimisch werden in dieser Welt“. Dabei geht er auf die Geschichte von 1948, also bereits nach dem 2. Weltkrieg, wie folgt ein:
„Vor 60 Jahren, am 10. Dezember 1948, kamen die Regierungsvertreter aller UN-Staaten zusammen, um eine Erklärung zu verabschieden, in der sie sich – noch im Banne des unmittelbaren Erschreckens darüber, wozu der Mensch fähig ist – auf die Formulierung von Werten verständigten, deren Gültigkeit weltweit zu beanspruchen sei: auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Der Akt selbst und die (trotz der Vielzahl sich auch weiterhin unversöhnlich gegenüberstehenden Weltanschauungen) Einmütigkeit bei der Verabschiedung so weitreichender Normen der Gleichheit, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit erscheinen im Rückblick als ein besonderer historischer Glücksfall in der Kulturentwicklung des Menschen. Auch wenn 1948 der Zweite Weltkrieg und der Holocaust ein Ende gefunden hatten, formuliert allerdings diese Erklärung kaum mehr als eine Rechtsutopie. In dem Jahr, in dem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verabschiedet wurde, konnte der Gegensatz zwischen Ideal und Wirklichkeit nicht krasser sein: Mahatma Gandhi wurde ermordet, es begann die ethnische Säuberung Palästinas1 und der Aufbau eines südafrikanischen Apartheitsstaates – Vorgänge, die, wie viele spätere, ihre Wurzeln im imperialistischen Weltbild des europäischen Kolonialismus und in dem mit ihm verbundenen rassistischen Menschenbild hatten. Die Idee allgemeiner Menschenrechte steht ihrem Wesen nach in einem unversöhnlichen Gegensatz zu der jedem rassistischen Denken zugrunde liegende Annahme, dass es Volks- und Kulturgruppen gebe, die verglichen mit uns minderwertig seien und denen wir somit das an Menschenwürde und Menschenrechten verwehren könnten, was wir für ‚Unseresgleichen’ als selbstverständlich beanspruchen. Auch die Folter wäre nicht denkbar ohne eine Kategorisierung „that divides man into torturable and nontorturable“ (Amnesty International, 1973, S. 27).
Heute, 60 Jahre später, besteht zwischen dem in der Erklärung formulierten Anspruch und der Wirklichkeit immer noch eine erschreckend große Kluft. Nach dem Zweiten Weltkrieg war man sich zwar über eine absolute Unzulässigkeit der Folter in einer zuvor kaum für denkbar gehaltenen Weise einig gewesen, zugleich jedoch habe, wie Amnesty International bereits 1973 im Report on Torture feststellte, die Ausübung der Folter epidemische Ausmaße erreicht. Die Folter, die lange Zeit ein Nischendasein geführt habe, „has suddenly developed a life of its own and become a social cancer”.3 2007 dokumentierte Amnesty International in mehr als 81 Ländern Fälle von systematischer Folter. Die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist also groß. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International, Human Rights Watch oder Physicians for Human Rights dokumentieren sie kontinuierlich und im Detail. Warum findet die Tatsache, dass tagtäglich in gravierender Weise, auch in unserem gesellschaftlichen Verantwortungsbereich, Werte verletzt werden, die wesentlich unserem kulturellen Selbstverständnis zugrunde liegen, so wenig Aufmerksamkeit? Wir neigen vermBuhalten und den Blick auf jene politischen Vorgänge und Prozesse zu richten, die diskrepant zu unseren Normen und Werten sind“. Hier ein Hinweis auf Rainer Maufelds umfassenden Beitrag:
https://www.uni-kiel.de/psychologie/psychophysik/mausfeld/Mausfeld_Psychologie%20und%20Folter.pdf
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